Vor einem dunklen Hintergrund hebt sich eine mit feinen, hellblauen Linien dargestellte architektonische Konstruktion ab. Das Objekt weist eine erstaunliche Räumlichkeit auf, ohne in die Tiefe des Bildraumes einzudringen. Der Anschein von Dreidimensionalität entsteht lediglich durch das Spiel mit den Verkürzungen der gleichseitigen Dreiecke, aus welchen das Objekt gebildet wird. Gleichzeitig erfährt es keinerlei räumliche Verortung, es scheint vor dem dunklen Hintergrund zu schweben. Überrascht werden wir als Betrachter, wenn wir einen zweiten Blick auf das Bild dark room #2 werfen. Denn entgegen jeglicher Erwartungen handelt es sich bei diesem Werk des Bildhauers Daniel Engelberg nicht um Malerei.

Beton, Polystyrol, Holz und Bauschaum – die Arbeiten des Künstlers weisen eine höchst ungewöhnliche Materialität auf. Daniel Engelberg arbeitet mit alltäglichen Bausubstanzen, deren Eigenschaften er sich zu Nutze macht. So bildet das Polystyrol die Basis für die architektonischen Formen und der samtige dunkle Hintergrund besteht aus gegossenem Beton. Was im ersten Moment malerisch erscheint erweist sich spätestens jetzt als Bildhauerei. Allerdings als eine Bildhauerei, der es vor allem um das Material und erst in zweiter Instanz um die Form geht.

Daniel Engelbergs Arbeiten präsentieren einen Materialfetischismus, welcher in seiner Konsequenz an die Arbeiten eines Dieter Roth erinnert. Während es jedoch bei Roth, in seinen aus organischen Substanzen bestehenden Werken, das Material selbst ist, welches arbeitet, arbeitet hier der Künstler – die Formen sind genau überlegt, komponiert und arrangiert, das Material fügt sich der Idee.

Diese Idee ist die Erforschung räumlicher Sachverhalte auf der zweidimensionalen Ebene. Daniel Engelberg lotet in seinen Arbeiten aus wie viel oder wie wenig es braucht, um Räumlichkeit zu generieren. Von der Fläche arbeitet er sich dabei auch in den realen Raum vor. In seinen Installationen werden die Materialcollagen, die im Bild die Dreidimensionalität nur suggerieren, räumlich erfahrbar. In der jüngsten Installation, welche im August 2016 in Chemnitz präsentiert wurde, wird der Ausstellungsraum verformt, ergänzt, transformiert. Neue Raumvolumen öffnen sich, an anderer Stelle wird vorhandener Raum dekonstruiert. Die Eingriffe sind mal mehr, mal weniger offensichtlich. Der Rezipient kann sich durch die Installation hindurchbewegen. Zerschlagene Kacheln klirren unter seinen Füßen, glänzende Oberflächen reflektieren Licht und ziehen das Auge auf sich, die stark farbigen und flaumigen Dämmstoffe lassen das Bedürfnis aufkommen die Hand darüber gleiten zu lassen. Mehr als nur der Seh- Sinn wird hier angesprochen, der Betrachter soll das Werk physisch erfahren können. Dabei bilden die verschiedenen Materialien wie Gips, Kacheln, Holzlatten und Dämmstoffe eine inszenierte künstliche Umgebung, eine räumliche Material-Collage.

Ganz im Sinne Max Ernsts entsteht hier eine neue Ebene der Wahrnehmung, die von einer ihr eigenen Poesie durchdrungen ist. Denn die „Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt“[1].

Diese Poesie lässt die Arbeiten von Daniel Engelberg trotz und gerade wegen der Verwendung „banaler“ und „alltäglicher“ Materialien aus dem Repertoire des Bauwesens zu ästhetisch ansprechenden Werken werden, die durch ihren Minimalismus bestechen. Ein Hauch des Geistes der Arte Povera ist hier anzutreffen. Diese in den 1960er und 1970er Jahren in Italien verbreitete Stilrichtung bediente sich „armer“ Materialien, es ging darum, Banales zum Kunstwerk zu machen. Sie war bestrebt, das Kunstwerk von seinem Sockel zu holen und hat maßgeblich zu einer Erweiterung der Form und des Umgangs mit Material geführt. Die Arte Povera steht dafür, dass selbst das simpelste und unbedeutendste Ding sich zu einem bedeutungsvollen Element im Kunstkontext transformieren lässt.

Daniel Engelberg greift dieses gedankliche Erbe auf und überführt es auf eine neue Ebene. Es geht nicht darum das Ding an sich zum Kunstwerk zu erklären. Vielmehr hinterfragt er unsere klassischen Kategorien, mit welchen wir gewohnt sind Kunst zu ordnen und in Schubladen zu stecken. Ein Bildhauer, der zweidimensional arbeitet – dies ist ein Aspekt, in welchem er mit allen gängigen Klischees bricht. Der zweite Aspekt ist die Verwendung der ungewöhnlichen Materialien.

So gelingt es Daniel Engelberg ohne großes Gebaren unsere Wahrnehmung in Bezug auf das Material, die Technik wie auch die Motive der Arbeiten auf den Prüfstand zu stellen. Wie reagiert der Betrachter, wenn die Kategorien Bildhauerei und Malerei sich ineinander verflechten? Wenn eine Installation fließend in den Ausstellungsraum übergeht und so die Grenzen des Kunstwerks nicht immer auf den ersten Blick abzustecken sind? Ist er frei für eine neue Rezeptionsästhetik? Kann er sich auf das Spiel des Künstlers mit unseren Vorstellungen der Dinge einlassen und damit eine ungewohnte Wahrnehmungsebene betreten?

Im Jahr 1914 deklarierte Marcel Duchamp einen im Warenhaus eingekauften, seriell hergestellten Flaschentrockner unverändert zum Kunstwerk und stellte damit sämtliche Bewertungskriterien der Kunst auf den Kopf. So weit geht Daniel Engelberg nicht, seine Arbeiten sind fein ausgearbeitet und vom Künstler gestaltete Bildideen, welche insbesondere durch ihren Formreichtum auffallen. Dennoch stellt auch er, etwas mehr als ein Jahrhundert nach Duchamp, die Frage, wie sich die Bildhauerei heute positionieren kann. Wo Duchamp diese Frage mit der Begründung des Ready-mades und der Objekt-Kunst beantwortete, lässt sich in Bezug auf Daniel Engelbergs Arbeiten möglicherweise von Material-Malerei sprechen. Wir dürfen auf die weitere Entwicklung seines Werkes gespannt sein.

 

[1Zitiert nach: Uwe M. Schneede: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert: von den Avantgarden bis zur Gegenwart, München 2010, S.77.