Jochen Hein – Die Metamorphose der Nord-Süd-Achse, in NZZ Edition, Nr. 6, Juni 2019

„Die Malerei ist die erstaunlichste Zauberin. Sie vermag uns mit den offenkundigsten Unwahrheiten davon zu überzeugen, dass sie die reine Wahrheit ist“ schreibt der Genfer Maler Jean-Ètienne Liotard 1781 in seiner Abhandlung über die Regeln der Malerei. Was er damit meint zeigt sich eindrucksvoll an der Edition von 29 gemalten Bergen, die der Hamburger Künstler Jochen Hein für die Neue Zürcher Zeitung geschaffen hat. Die kleinen Bilder bündeln, im Format von 30 mal 25 Zentimeter, komprimiert das Wechselspiel von dramatischer Urgewalt und stiller Schönheit der Schweizer Berglandschaft. In 29 Variationen zeigen sie mal von Nahem und mal aus der Ferne, bei klarer Sicht und im Dunst, bei stürmischem Wetter und im ruhigen Morgengrauen, die alpine Welt. Das Gebirgsmassiv und seine Felsformationen, die Auffaltungen, Grate, Steilwände und Hänge entfalten, durch das witterungsbedingte Spiel von Zeigen und Verbergen, eine spannungsvolle Dynamik. Die nebelverhangenen Bergkuppen wecken Assoziationen an die atmosphärischen Gemälde von William Turner oder Claude Monets flirrende Farbnebel. Das Weisshorn, Mönch, Jungfrau und die Lenzspitze zeigen sich im wahrsten Sinne des Wortes von ihrer malerischen Seite. Irgendetwas jedoch irritiert bei längerer Betrachtung zunehmend, der bläuliche Grundton der Berge macht stutzig – manche von ihnen scheinen in der Bewegung gefroren zu sein und eigentlich zu Tosen, zu Schwappen, sich zu bewegen. Sehen wir wirklich Nebel, die am Berghang entlangkriechen und Felsstürze oder ist das nicht doch Gischt, die von Wellenkämmen stiebt oder eine Schaumkrone? (…)

Hier kann man den Katalog online und umsonst bestellen.